Navigieren / suchen

Von Autoren, Büchern und Piraten – Kleine Geschichte der Buchkultur | Verlag Artemis & Winkler 2009 | 268 Seiten mit 32 Abbildungen und 8 Farbtafeln | Fest gebunden mit Schutzumschlag | € 18,- | Zum gleichen Preis auch als E-Book für’s iPhone im App-Store erhältlich

Wir erleben derzeit die vierte Medienrevolution der Geschichte der Digitalisierung, E-Books und Open Access sind nur einige der Schlagworte, die sie begleiten. In dieser Phase des Umbruchs, die nicht nur die gesamte Buchbranche verunsichert, wird kurzgefasst und spannend, informativ und mit überraschenden Aus- und Einsichten die fast 3000-jährige Geschichte der Buchkultur erzählt.

Dabei verblüfft die Tatsache, dass fast alle gegenwärtigen Fragestellungen bereits in der Vergangenheit Thema waren: so wurde um das geistige Eigentum schon zu Homers Zeiten gestritten.

Nach einer längst überfälligen Bewertung der gegenwärtigen Situation wird schliesslich auf dem Hintergrund der historischen Befunde ein Ausblick in die mögliche Zukunft unserer Buch- und Medienkultur gewagt.

Presse

Die Genese der facettenreichen Geschichte der Buchkultur ist schon oft ausführlich und detailliert geschildert worden. Detlef Bluhm gesellt diesem Bestand nun eine weitere Darstellng hinzu, die dadurch besticht, dass sie ihr Thema nicht allzu eng fasst, sondern beispielsweise mit kenntnisreichen Exkursen … aufwartet.

Johannes Willms am 8. Dezember 2009 in der Süddeutschen Zeitung

Diese »Kleine Geschichte der Buchkultur« versucht auf gut 250 Seiten die gesamte Geschichte des Buches darzustellen und dazu noch eine Diskussion der aktuellen Probleme der Branche zu liefern. Dieses Ziel erreicht Bluhm durch geschickten Einsatz der für ein Sachbuch nicht nur legitimen sondern auch notwendigen Mittel. Und er setzt diese Mittel so gekonnt ein, dass man an diesem Buch die Merkmale eines Sachbuchs geradezu ablesen kann.

Michael Buchmann am 12. Oktober 2009 auf Immer schön sachlich. Hier der Link zur ganzen Rezension: http://www.immer-schoen-sachlich.de/sach-buch-wissenschaft/

Eine kurzweilige Spritztour sollte der Abend werden, und damit hatte Bluhm nicht zuviel versprochen. Kurz und knapp, spannend und heiter gab er überraschende Ein- und Aussichten. Das Publikum staunte, dass so manches, was uns heute beschäftigt, bereits in der Vergangenheit Thema war. Man erfuhr beispielsweise, dass auch zu Homers Zeiten über geistiges Eigentum gestritten wurde, dass es schon im alten Rom Buchhandelszentren gab und wie Gutenberg die Buchkultur revolutionierte.

Margit Lesemann im Buchmarkt 10/2009

Kenntnis- und faktenreich ist auch das Schlusskapitel, das kritisch auf die Digitalisierung schaut. Es bleibt jedoch keine Zeit mehr um über die Risiken und Nebenwirkungen nachzudenken. Klar ist nur, dass das Kulturgut Buch und alle seine Akteure eine noch nie dagewesene Veränderung durchlaufen und die eigene oder öffentliche Bibliothek mehr einem überdimensionierten Bildschirm gleichen wird, denn einer schmucken Bücherwand.

Ulrich Riklin in münstergass.ch

Bericht über eine Podiumsdiskussion im Literaturhaus Berlin: http://www.360grad-blog.de/?p=292

Inhaltsverzeichnis

Im Anfang war das Buch
Vom bibliophilen Handel und plagiatorischen Händeln in der Antike

Tausend Jahre im Skriptorium
Vom Überwintern der Buchkultur in mittelalterlichen Klöstern

Rückbesinnung und Neubeginn
Von der Wiederkehr des Buches in der Renaissance

Die Beschleunigung der Buchkultur
Von der Reformation als Medienereignis

Neuzeitliche Scharmützel
Von Konditionen, Privilegien und Piraten

Moderne Verhältnisse
Von der Buchkultur im 19. und 20. Jahrhundert

Der gelehrte Diebstahl von Cervantes bis Dan Brown
Vom Plagiat in der Literatur

Gegenwärtige Verhandlungen
Über Eigentum, Diebstahl und die Zukunft der Buchkultur

Leseprobe

Liebe Leser,

schön, dass Sie sich für mein Buch interessieren. Auf den folgenden Seiten finden Sie Auszüge aus drei Kapiteln »Von Autoren, Büchern und Piraten«.
Ich wünsche Ihnen eine anregende, aber auch vergnügliche Lektüre.

Ihr,
Detlef Bluhm

Im Anfang war das Buch
Vom bibliophilen Handel und plagiatorischen Händeln
in der Antike

Beim Dichter ist das Mittelmaß verpönt:
nicht Menschen, nicht Götter gönnen ihm Raum – auch nicht die Schaufenster der Buchhandlungen.
Horaz (65-8 v. Chr.)

Das Mittelmaß ist das Maß aller Dinge.
Sprichwort (20. Jahrhundert)

Die Buchrolle, der Kodex und die Erfindung des Taschenbuchs

Bis ins zweite Jahrhundert v. Chr. schrieb man längere Texte ausschließlich auf Papyrus. Das Papier der Antike wurde aus dem Mark und den Stengeln der Papyrusstaude gewonnen, die vor allem im Nildelta wuchs. In Griechenland und Rom maß die Papyrusrolle zwischen sechs und zehn Metern.
Manche Buchrollen beinhalteten mehrere Texte, die von verschiedenen Autoren stammen konnten. Andere Rollen enthielten nur einen langen Text. Außerdem gab es schon damals mehrbändige Werke.
In den Buchhandlungen der Antike muss es wie auf einem orientalischen Basar geduftet haben, denn zum Schutz vor Schädlingen wurden die Papyrusrollen mit Zedernöl und Safran eingestrichen. Ihre Schnittflächen wurden poliert und eingefärbt, um ein Zerfasern am Rand zu verhindern. Zur leichteren Nutzung war die Rolle um einen Stab gewickelt. Nach der Lektüre wurde die Papyrusrolle wieder bis zum Anfang eingerollt. Um jedes Werk leicht auffinden zu können, waren an seinem oberen Rand kleine Streifen (»titulus«) angebracht, die mit dem Namen des Autors und des Werkes versehen wurden. Nach der Lektüre verstaute man die Rollen in einem Schrank oder in einem Regal, der »theke«. Das Wort Bibliothek – früher meinte man damit ein Möbelstück – setzt sich daher aus dem griechischen »bíblion« (Buch) und »theke« (Behältnis) zusammen.

?

Eine auf Plinius den Älteren zurückgehende Legende besagt, dass der in Ägypten herrschende König Ptolemaios VI. (180-145 v. Chr.) den Export von Papyrus nach Pergamon verboten hatte, um der dortigen, mit Alexandria konkurrierenden Bibliothek das Kopieren weiterer Bücher zu erschweren. König Eumenes II. (221–158 v. Chr.) habe daraufhin aus Not das seit altersher bekannte Verfahren zur Anfertigung beschreibbarer Tierhäute verfeinern lassen. Vermutlich hat man in Pergamon tatsächlich eine qualitative Verbesserung dieses Beschreibstoffs entwickelt, was die Namensgebung erklären würde. Ein Grund für die Weiterentwicklung des Pergaments könnte auch die geringe Haltbarkeitsdauer von Papyrusrollen gewesen sein. Mehrere antike Autoren berichten, dass kaum eine Schriftrolle länger als 200 Jahre erhalten blieb, wenn sie häufig benutzt wurde. Jedenfalls sind seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. Dokumente griechischer Sprache auf Pergament bekannt, aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. ist Pergament als Träger literarischer Werke bezeugt. Dieses neue »Papier« erfreute sich schnell wachsender Beliebtheit, denn seine Vorteile waren offensichtlich. So ließ sich das widerstandsfähigere Material platz- und materialsparend beidseitig beschriften.
Doch nicht das neue Papier, sondern die Erfindung einer völlig neuartigen Buchform, die aus ihm entwickelt wurde, führte die zweite Medienrevolution der europäischen Buchgeschichte herbei.
Diese neue Buchform, Kodex genannt, ist im 1. Jahrhundert n. Chr. entstanden. Der Begriff geht auf das lateinische »codex« zurück, mit dem man früher einen Block beweglich verbundener Schreibtafeln bezeichnete. Während die älteren Kodices einlagig waren, setzte sich ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. der mehrlagige Kodex durch. Unter einer Lage versteht man eine geringe Anzahl von Einzelbögen, die geheftet wurden. Mehrere Lagen wurden dann aufeinander gelegt und am Rücken des so entstehenden Buchblocks miteinander vernäht. Den fertigen Buchblock hängte man dann zum Schutz vor Beschädigungen in einen festen Einband aus Holz oder verstärktem Leder ein. Ferner konnte man es umblättern und somit leichter handhaben als die Papyrusrolle, die nach jeder Lektüre wieder eingerollt werden musste. Später wurden Seitenzählungen, Kapitelüberschriften und Register eingefügt, um die Nutzbarkeit des Buches zu erhöhen. Der Direktor der Harvard Universitätsbibliothek Robert Darnton, selbst ein ausgewiesener Buchhistoriker, unterstrich, dass erst die Entwicklung des Kodex eine neue Systematisierung des Wissens ermöglicht hat und bewertete diesen Prozess als bedeutende Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit.
Im 3. Jahrhundert n. Chr. begann der Kodex allmählich die Buchrolle zu verdrängen. Gemessen an der Anzahl der produzierten Bücher überrundete der Kodex die Papyrusrolle im 4. Jahrhundert n. Chr. Für literarische Werke wurde die Papyrusrolle bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. benutzt. Später fand sie lediglich für Urkunden, Erlasse und andere amtliche Dokumente Verwendung.
Der Übergang von der Papyrusrolle zum gebundenen Kodex war ein Prozess, der sich über sechs Jahrhunderte erstreckte. Vielleicht hat dieses lange Nebeneinander dazu geführt, dass man für beide Buchformen sowohl in der deutschen als auch in der griechischen und lateinischen Sprache den Begriff »Buch« verwendet und beibehalten hat. In jüngster Zeit sind neue Buchformen entstanden: das Hörbuch und das elektronische oder digitale Buch. Auch hier wird – in Ermangelung eines anderen Begriffes oder weil dieser sich bewährt hat – das Wort »Buch« verwendet, auch wenn es zur besseren Verständigung durch einen Zusatz ergänzt wird. Diesen Gedanken sollten wir bei der aktuellen Diskussion um digitale Bücher im Kopf behalten. Wenn wir heute das Wort Buch verwenden, können verschiedene Formen seiner körperlichen Erscheinung gemeint sein. In jedem Fall reden wir aber über einen Inhalt, den man sich auf unterschiedliche Weise aneignen kann und der in unterschiedlichen Formen vermarktbar ist.

*

Marcus Valerius Martialis war ein römischer Dichter, der heute noch für seine Epigramme bekannt ist. Er wurde um 40 n. Chr. angeblich im März geboren, dem Monat also, dem der römische Kriegsgott Mars seinen Namen gegeben hat. Ob sich das eingedeutschte Adjektiv »martialisch« vom Gott Mars oder vom Dichter Martial herleitet, ist heute nicht mehr zu klären. Aber viele Wissenschaftler vermuten in Martials streitbarem Wesen den Ausgangspunkt dieser Ableitung. Martial war nicht nur Zeitzeuge einer Medienrevolution. Er erwähnte auch als erster Autor der Antike die Herstellung literarischer Werke in Form eines Kodex:

Wenn du meine Bücher überall bei dir haben willst
und sie dir als Begleiter für eine lange Reise wünschst,
dann kaufe diese hier: Das Pergamentformat reduziert sie auf eine knappe Zahl von Blättern.
Buchrollenbehälter verwende für die großen Werke, mich kann man in einer Hand halten.

Mit diesen Zeilen dokumentiert Martial einen Umbruch, der sich zwar über Jahrhunderte erstreckte, aber trotzdem als Medienrevolution gilt. Denn in dieser Zeit vollzog sich ein Prozess, der allen vier Revolutionen der Mediengeschichte – Übergang vom Körper- zum Schriftgedächtnis, von der Papyrusrolle zur Kodex-Buchform, vom geschriebenen zum gedruckten Buch und vom gedruckten Buch zu einem Digitalisat – eigen ist: Alte Inhalte wurden von einem tradierten Medium auf ein neues, medientechnisch verändertes Format überführt.
In seinen Epigrammen wird Martial nicht müde, die Vorteile des Kodex gegenüber der Papyrusrolle zu preisen. Er ist begeistert von der Verdichtung der Textmenge und der damit verbundenen Handlichkeit der Bücher: »Zusammengedrängt auf winzigen Häuten ist der gewaltige Livius; den vollständigen kann meine Bibliothek nicht fassen.« Genaugenommen redet Martial hier von der Erfindung des Taschenbuchs. Die neue Form des Kodex wurde erst zu Martials Zeiten für literarische Werke eingeführt. Martials Vorliebe für dieses Format machte ihn in seinem sozialen Umfeld zum Vorreiter denn in den gehobenen Schichten der gebildeten Gesellschaft blieb die Rolle noch bis in die Spätantike die bevorzugte Buchform. Von seiner Einführung an beschränkte sich die Verbreitung des Kodex über Jahrhunderte auf die mittleren und unteren Leserschichten der römischen Gesellschaft. Möglicherweise ist Martials propagandistisches Eintreten für den Kodex durch diesen Umstand zu erklären; seine als Kodex gebundenen Werke wurden zum Lesestoff breiter Schichten, sie verließen den bisherigen elitären Kreis. »Ganz Rom lobt, liebt und singt jetzt meine Lieder« konnte sich Martial deshalb im sechsten Buch der Epigramme – also 90 n. Chr. – freuen.
Die Entwicklung des Kodex zur vorherrschenden Buchform hängt übrigens eng mit der des Christentums zusammen. Schon im 2. Brief des Paulus an Timotheus, also am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr., werden Bücher aus Pergament erwähnt: »Den Mantel, den ich in Troas bei Karpus zurückließ, bringe mit, wenn du kommst, und die Bücher, besonders die Pergamente.« Dadurch wird die Affinität der Kirche zur Buchform des Kodex angedeutet. In dieser Zeit und noch lange danach gingen die Christen zur zeitgenössischen Elite auf Distanz. Die gehobenen und gebildeten Schichten bevorzugten nach wie vor die Rolle als Buchform, während die junge Kirche schon früh im Kodex ihr literarisches Selbstverständnis fand. Die Bücher der heutigen Bibel wurden dementsprechend auf Kodices geschrieben beziehungsweise umgeschrieben. Letzteres gilt vor allem für die Schriften des Alten Testaments. Mit dem Sieg des Christentums über die alten Religionen Roms und seiner Einführung als Staatsreligion zum Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. ging schließlich die Entwicklung des Kodex als vorherrschende Buchform in der gesamten römischen Gesellschaft einher.
Der bedeutendste erhaltene Kodex der antiken Welt ist der 347 Blätter umfassende Codex Sinaiticus. Es handelt sich bei dieser griechischen Handschrift nicht nur um das umfangreichste Buch, das wir aus der Antike besitzen, es ist auch die älteste Bibel der Welt mit der ersten vollständigen Fassung des Neuen Testaments. Der Codex Sinaiticus stammt aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. und wurde vermutlich von Konstantin dem Großen in Auftrag gegeben. Bedeutend macht ihn auch der Umstand, dass Vollbibeln aus dieser Zeit selten sind. Die meisten überlieferten Bibelhandschriften enthalten lediglich Gruppen von kanonisierten Texten, also die Evangelien, die prophetischen Bücher des Alten Testaments und so weiter. Im 4. Jahrhundert n. Chr. begann man mit der Herstellung besonders kostbarer Kodices. Die besseren Möglichkeiten zur künstlerischen Buchgestaltung wurden genutzt, um Prachtausgaben der heiligen Schriften anzufertigen, die das Repräsentationsbedürfnis der Kirche und ihr gewandeltes kulturelles Selbstverständnis widerspiegelten. Schon der Kirchenvater Hieronymus beschwerte sich in einer Epistel über die Prunksucht aristokratischer und kirchlicher Kreise, die sich in solchen Ausgaben manifestierte: »Man färbt das Pergament mit Purpur, schreibt die Lettern mit Gold und schmückt die Bücher mit Edelsteinen, während Christus nackt vor euren Türen steht und stirbt.«

Römische Verhältnisse: Buchhandlungen, Bibliotheken und Verlage

In der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. gelang es Rom in mehreren Etappen, die hellenistische Großmacht zu besiegen und ihr politisches Erbe anzutreten. Hundert Jahre später wurde erstmals ein stationärer Buchhandel in Rom erwähnt. Der römische Dichter Catull schrieb 55 v. Chr. in einer Erzählung, dass er »sobald es hell wird in alle Buchhandlungen stürmt, um die Bücher von Aquinus, Caesius und Suffenus zu kaufen«. Der schon bei Aristophanes erwähnte morgendliche Gang zum Buchhändler scheint auch in Rom für viele gebildete Leser eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein.
Catulls Zeitgenosse Horaz hatte dagegen keine hohe Meinung vom römischen Buchhandel. Er legte auch keinen großen Wert darauf, dass seine Texte von jedermann gekauft und gelesen wurden. Vielmehr sorgte er sich um das grassierende Plagiatsunwesen. Rund 500 Jahre nach ihrer Erstschrift durch Äsop hat auch Horaz die schon erwähnte Fabel als Warnung vor geistigem Diebstahl verstanden. Im ersten Band seiner Epistulae ermahnte er einen Kollegen, nicht die Texte anderer zu kopieren:

Womit ist Celsius beschäftigt? Er brauchte und braucht unsere Mahnung,
eignen Besitz sich zu schaffen und nicht an die Schriften zu rühren,
welche Apollo verwahrt im Palatinischen Tempel;
[wo sich die öffentliche Bibliothek befand]
sonst wird es ihm wie der Krähe ergehen, als in Scharen die Vögel
kamen, die Federn wiederzufordern: Beraubt der gestohlnen
Pracht, trug sie nichts als Gelächter davon.

Äsops eitle Krähe hatte sich die fremden Federn, die sie einsammeln konnte, noch geborgt. Horaz verschärft nun den Ton, wenn er von Diebstahl spricht. Diese Steigerung ist ein Indiz für die Vehemenz, mit der in Rom über das Plagiatsunwesen gestritten wurde.
Während in den Texten von Catull und späteren römischen Autoren lediglich von »libraria« (Buchhandlung) die Rede ist, taucht in Martials viertem Buch der Epigramme (88 n. Chr.) erstmals der Begriff »bibliopola« (Buchhändler) als Berufsbezeichnung auf. In früheren Zeiten verwendete man den Begriff »librarius«, der ursprünglich eine Bezeichnung für den Schreiber war, der in fremdem Auftrag Texte kopierte. Später wurde damit auch derjenige bezeichnet, der gewerbsmäßig Bücher herstellte und verkaufte; allerdings behielt »librarius« auch seine ursprüngliche Bedeutung bei. Erst Martials »bibliopola« bezeichnete einzig und allein denjenigen, der Bücher produzierte und verkaufte. Die Einführung dieser Berufsbezeichnung in die römische Sprache deutet darauf hin, dass sich die Buchbranche im 1. Jahrhundert n. Chr. nachhaltig professionalisiert hat.

?

Schon vor dieser Blütezeit des Buchhandels waren in Rom und in den Landhäusern der Oberschicht umfangreiche Privatbibliotheken entstanden. Catull gab im 1. Jahrhundert n. Chr. an, dass er ohne seine Bibliothek nicht leben könnte. Ovid vermisste in seiner Verbannung am Schwarzen Meer die Anregung, die er aus den Büchern seiner Bibliothek bekommen hatte. Zu Martials Zeit stellte der Besitz einer selbst gesammelten – also nicht als Trophäe in den besiegten Provinzen erbeuteten – Privatbibliothek ein echtes Statussymbol dar. Dies führte dazu, dass so manche Privatbibliothek das geistige Vermögen ihres Besitzers weit überstieg – was den bissigen Spott einiger Intellektueller hervorrief. So mokierte sich Seneca in seinem Dialogband Über die Ausgeglichenheit der Seele über Roms neureiche Bibliotheksbesitzer: »Ignoranten, die Bücher nicht als Hilfsmittel der Wissenschaft, sondern als Schaustücke für ihre Mahlzeiten ansehen. Was kannst du denn zur Entschuldigung eines Menschen vorbringen, der sein eigentliches Vergnügen nur an den Vorsatzblättern seiner Schriftrollen und an ihren Titeln hat?«
Die Einrichtung erster öffentlicher Bibliotheken lässt sich ebenfalls in den Zeitraum des Entstehens größerer Privatbibliotheken datieren. Caesars Ermordung verhinderte zwar dessen Plan, die erste öffentliche Bibliothek in Rom zu errichten. Doch nur fünf Jahre später begründete der Feldherr und Dichter Gaius Asinius Pollio 39 v.Chr. mit dem Erlös eines siegreichen Feldzuges im Atrium Libertatis zu Rom eine öffentliche Bibliothek, deren Anlage als griechisch-römische Doppelbibliothek zum Vorbild für fast alle römischen Bibliotheksbauten wurde. Einer Tradition des römischen Buchhandels folgend, führte Gaius Asinius Polius in seiner Bibliothek Dichterlesungen vor geladenem Publikum durch.
Etwa 20 Jahre später entstand unter Kaiser Augustus mit der Palatinischen Bibliothek die zweite öffentliche Einrichtung dieser Art. Auch die nachfolgenden Kaiser bauten fleißig Bibliotheken zur öffentlichen Nutzung.
Die öffentlichen Bibliotheken Roms sind allerdings nicht mit den heutigen Bibliotheken vergleichbar. Sie waren zwar prinzipiell für jeden offen, wurden aber nur von einem hochgebildeten Publikum aufgesucht. Diese repräsentativen Bibliotheken waren Stiftungen der Kaiser oder großer Feldherren. In ihnen sammelte man nur die Werke der künstlerischen und wissenschaftlichen Elite, also Bücher, die die allermeisten Römer nicht verstehen konnten. Selbst denen, die einfache Plakatschriften und populäre Literatur lesen konnten, blieb die komplexe Sprach- und Gedankenwelt der Oberschicht weitgehend verschlüsselt. Der Grund hierfür ist neben dem krassen Bildungsgefälle der römischen Gesellschaft auch in der Entwicklung der lateinischen Sprache zu suchen, die sich zur Zeitenwende in ein Normlatein für Gebildete und das sogenannte Vulgärlatein des halb- oder ungebildeten Volkes aufgespaltet hatte.
Doch kommen wir zurück zu den Bibliotheken der Kaiserzeit. Man besuchte diese nicht, um zu lesen, denn das hätte die anderen Anwesenden gestört. Damals las man nämlich noch laut. Die Zeit, in der Literatur nur mündlich überliefert wurde, war zwar längst vergessen, aber die stumme Aufnahme eines Textes weiterhin unüblich. Das leise Lesen ist eine Erfindung des Frühmittelalters. Man ging also in die Bibliothek um alte Werke einzusehen, bestimmte Stellen miteinander zu vergleichen, sich zu informieren; vor allem aber, um dort Freunde und Bekannte zu treffen. Die Bibliothek war in gewissem Sinn ein öffentlicher Ort. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. zählte man in Rom 28 solcher Bibliotheken, dazu kamen zahlreiche weitere im ganzen römischen Reich und seinen Provinzen.
Für die weniger gebildeten Menschen, die man nicht in den großen Prunkbauten der Stiftungsbibliotheken traf, gab es Bibliotheken mit unterhaltender Literatur, Ratgebern, Zauberbüchern und anderem Lesestoff, der in diesen Kreisen beliebt war. Diese Bibliotheken befanden sich beispielsweise in den großen Thermen oder waren ihnen angeschlossen. Hier konnte man Bücher ausleihen, um sie in den weitläufigen Anlagen der Badehäuser oder außerhalb der Thermen zu lesen.
Schon Cicero erwähnt einfache Menschen aus »bescheidenen Verhältnissen, beispielsweise Handwerker«, die wir uns als Nutzer dieser Bibliotheken, aber auch als Buchkäufer vorzustellen haben. Nach ihm lasen diese Menschen lediglich »aus Spaß am Lesen«, nicht aber, »um Nutzen daraus zu ziehen«, wie es bei höher gebildeten Lesern üblich war. Diese von Cicero, Horaz und anderen Autoren argwöhnisch beobachtete und geringgeschätzte Leserschaft der »unteren Schichten« entstand im 1. Jahrhundert v. Chr. Zu ihnen gehörten Techniker und Beamte, ranghöhere Soldaten, Kaufleute und Handwerker, Landwirte und Neureiche. Zum Entsetzen mancher Autoren gehörten auch wohlhabende Frauen und sogar »faciles puellae«, also »leichte Mädchen«, dazu. Juvenal beispielsweise vertrat die Auffassung, dass es besser wäre, Frauen würden »einiges in den Büchern nicht verstehen«, denn: eine gebildete Frau sei unerträglich.
In den prosperierenden Jahren der Kaiserzeit wuchs die Zahl dieser Leser stetig an. Man las vor allem allein oder mit Zuhörern zu Hause, aber auch auf Reisen, bei den Mahlzeiten und in den öffentlichen Anlagen der Stadt. Sogar bei der Jagd wurde gelesen – während man darauf wartete, dass die Beute ins Fangnetz lief. Auch bei Schlaflosigkeit griff man gern zum Buch.
Der Buchhandel hielt ein umfangreiches Sortiment an Gebrauchs- und Unterhaltungsliteratur für diese nicht besonders zahlungskräftige, aber zahlenmäßig bedeutende Kundschaft bereit. Dazu gehörten neben Liebes- und Abenteuergeschichten auch Biographien, Bücher über die Kochkunst und den Sport, ferner Horoskope und Texte über Zauberei und Traumdeutung, Spielanleitungen und sonstige Handreichungen für den Alltag. Nicht zu kurz kam dabei die erotische Literatur, die schon in der Antike regen Zuspruch fand. Es gab sogar Erotica mit »obscenae tabellae« (»unanständigen Bildern«) und solche, die fast ausschließlich aus derartigen Bildern bestanden. Ferner wurden Romane verlegt, die offensichtlich für ein weibliches Publikum geschrieben waren.

?

Die Buchhändler-Verleger wussten, was ihre Kunden wollten, und eigentlich hätten ihre Autoren zufrieden sein müssen. Allerdings scheint das Zutrauen einiger Autoren in die Leistungsfähigkeit des römischen Buchhandels – und hier ist vor allem die Textsorgfalt beim Kopieren gemeint – nicht besonders ausgeprägt gewesen zu sein. »Wohin ich mich wegen der Bücher in Latein wenden soll, das weiß ich schon gar nicht, so fehlerhaft wie sie kopiert und verkauft werden«, beklagte sich Cicero (106-43 v. Chr.) in einem Brief an seinen Bruder Quintus und vertraute das Verlegen und den Vertrieb seiner Werke dem Freund Atticus (110-32 v. Chr.) an. In einem Brief an den Freund schrieb Cicero: »Die Ligariana hast Du wunderbar verkauft. Alles, was ich zukünftig schreibe, sollst Du als erster verbreiten.«
Titus Pomponius Atticus stammte aus einer vermögenden Familie. Zwei Erbschaften machten ihn finanziell unabhängig. Sein Freund Cornelius Nepos berichtete in einer Biographie über Atticus, dass »alle seine Geldeinkünfte auf seinen Besitzungen in Epeiros und in der Stadt beruhten.« Diese Mitteilung enthält allerdings nicht die ganze Wahrheit. Aus anderen Quellen wissen wir heute, dass Atticus seinen Reichtum neben Grundstücksspekulationen auch durch geschickte Geldgeschäfte zu vermehren wusste.
Als Verleger rationalisierte er das Kopierwesen seiner Zeit, indem er qualitätsgeprüfte Texte mehreren Schreibern gleichzeitig diktieren ließ. Bei Cornelius Nepos heißt es dazu, dass es in seinem Haushalt »in Sprache und Schrift sehr bewanderte Sklaven [gab], vorzügliche Vorleser und eine Menge Abschreiber«. Alle Kopien wurden anschließend noch einmal auf mögliche Fehler überprüft. Deshalb erfreuten sich seine zuverlässigen Ausgaben im ganzen römischen Reich großer Beliebtheit. Atticus verlegte aber nicht nur die Werke Ciceros, sondern auch die anderer Autoren. Wahrscheinlich machte der reiche Römer aber kein nennenswertes Geschäft damit. Für Angehörige der begüterten Oberschicht wie Atticus kam die die Betätigung in einem Handelsgewerbe, das üblicherweise von freigelassenen Sklaven, einfachen Leuten und Griechen betrieben wurde, überhaupt nicht in Frage. Da aber Atticus seine verlegerische Tätigkeit eher als private Passion denn als gewerbliche Profession ausübte – und er deshalb mit den anderen »librarii« seiner Zeit kaum vergleichbar ist –, kann man in ihm den ersten bedeutenden Verleger der Antike sehen.

?

Das fehlende Urheber- und Verlagsrecht machte den Buchhandel in der Antike zu einem riskanten Geschäft, in dem sich neben der seriösen Mehrheit auch Scharlatane tummelten, die sich von schludrig angefertigten Kopien einen schnellen Profit versprachen. Das Herstellen von Auflagen war aufwendig, der Markt überschaubar, und jeder konnte jeden Text nach Belieben kopieren und verkaufen. Wer also erfolgreich sein wollte, musste bei einer Neuerscheinung mit einer ausreichenden Anzahl von Exemplaren auf den Markt kommen, um möglichst schnell die potentielle Zielgruppe bedienen zu können. Ferner war ein ausgeklügelter Vertrieb vonnöten, um eine Auflage ohne großen Zeitverlust gleichzeitig im ganzen römischen Reich verfügbar zu machen. Der jüngere Plinius und Martial berichteten, daß ihre Bücher beispielsweise in Lyon und Vienne, aber auch im Donaugebiet und sogar in Britannien vertrieben wurden. Immerhin wurden im kaiserlichen Rom Auflagen von mehreren hundert Exemplaren hergestellt. Die in der Literatur immer wieder kolportierte Zahl einer Auflage von eintausend Exemplaren bezieht sich auf eine bestellte Traueranzeige, die wohl eine Ausnahme darstellte.
Erfreulich war für die römischen Buchhändler-Verleger mit Sicherheit die Tatsache, dass sie kein Autorenhonorar entrichten mussten. »Dem Verleger gebührt die Einnahme, dem Dichter der Ruhm«, heißt es in der Ars poetica des Horaz. Dem antiken Rechtsempfinden entsprechend hatte der Autor lediglich ein Besitzrecht an seinem geschriebenen Manuskript. Für dessen Veräußerung an einen Buchhändler wurde oft ein Honorar bezahlt. Nach dem Verkauf konnte dieses Werk jedoch von jedem beliebig kopiert und vertrieben werden.
Ähnlich wie ihre griechischen Kollegen stammten die römischen Autoren mehrheitlich aus begüterten Familen. Ansonsten waren sie von öffentlichen oder privaten Geldgebern abhängig. So ist das Werk des Horaz ohne seinen Mäzen Maecenes nicht denkbar, und auch Martial musste lange Zeit um die Gunst von Geldgebern betteln.

Martial als Chronist der römischen Buchkultur

Martial war tatsächlich ein streitbarer Mensch, der sogar seine Gönner aufs Korn nahm, wenn sie plagiatorische Vorgänge billigten. Quintianus beispielsweise war ein sehr wohlhabender Förderer Martials und anderer Autoren. Als ein von ihm protegierter Dichter Martials Gedichte als seine eigenen ausgab, wurde der wahre Urheber wütend und verglich diesen Betrug mit dem Raub eines Kindes und der Freilassung eines Sklaven. Wortwörtlich ermahnte Martial seinen Mäzen in einem Epigramm, »dem Plagiator Schamgefühl beizubringen«. Das von ihm erstmals in diesem Zusammenhang verwendete Wort heißt »plagium« und bedeutet wörtlich übersetzt »Menschenraub«. Der Begriff »Plagiat« geht also auf Martial und einen der ältesten Fälle geistigen Diebstahls in der Literatur zurück. Außerdem ist Martial der Autor der Antike, der sich in seinem literarischen Werk am ausführlichsten mit dem Buchhandel seiner Zeit beschäftigt hat.
In seinen Epigrammen stilisierte er sich als Bettelpoet und bediente damit das Klischee von der brotlosen Kunst der Dichtung. Dies traf für seine erste Zeit in Rom auch zu, die er in bescheidenen Verhältnissen verbringen musste. Mit viel Mühe brachte er aber im Lauf der Zeit wohlhabende Gönner hinter sich, vor allem die Familie des Seneca. Nach seinem literarischen Durchbruch verstand er es, den unverhofften Ruhm in bare Münze zu verwandeln und wurde wohlhabend. Ihm gehörte ein Landgut in der Nähe von Rom, er besaß Sklaven, und Sekretäre gingen ihm zur Hand. Martial genoss kaiserliche Steuerprivilegien und wurde in den Ritterstand erhoben, wofür ein Vermögen von mindestens 400 000 Sesterzen notwendig war – das Jahreseinkommen von etwa 300 Legionären. Nach der Rückkehr in seine spanische Heimat schenkte ihm außerdem eine reiche Gönnerin einen luxuriösen Landsitz.

Martial überliefert die Namen von vier römischen Buchhändlern: Atrectus, Quintus Valerianus Pollius, Secundus und Tryphon. Daraus kann man schließen, dass Martial eine relativ enge Beziehung zu seinen Verleger-Buchhändlern pflegte. Bei zwei Buchhandlungen nennt er überdies deren Standort: Secundus unterhielt seinen Laden beim Forum der Pallas, die Buchhandlung des Atrectus befand sich gegenüber dem Cäsar-Forum in einer Straße, deren Name auch als Bezeichnung für das ganze Viertel verwendet wurde: Argiletum. Das Argiletum und die gleichnamige Straße galten als Zentrum des römischen Buchhandels. Diese beiden Ortsangaben zeigen, dass sich der Buchhandel in zentralen und verkehrsreichen Lagen angesiedelt hatte. Dort wiesen die Buchhandlungen das Publikum durch Anschläge an Außenwänden und Türpfosten auf Neuerscheinungen hin.
Der sonst nicht weiter bekannte Buchhändler Secundus war nach Martial ein freigelassener Sklave. Auch viele seiner Kollegen waren zumeist nicht sonderlich begüterte Freigelassene, oft griechischer Herkunft und von sehr unterschiedlichem Bildungsgrad. Während sie in der Frühzeit des römischen Buchhandels auch mit anderen Waren handeln mussten, um ökonomisch über die Runden zu kommen, konnten sie sich um die Zeitenwende auf den Handel mit Büchern konzentrieren. Zu Martials Zeit scheint mit der wachsenden Wertschätzung des Buches auch das Ansehen der Buchhändler deutlich gestiegen zu sein.
Von Martial sind uns auch relativ genaue Angaben zur Preisgestaltung und Buchkalkulation überliefert. So verkaufte der Buchhändler Tryphon den 13. Band der Epigramme in einer »eleganten« Pergamentausgabe für vier Sesterzen, den Tagesverdienst eines Arbeiters. »Vier ist zuviel?« fragt Martial dann seinen Leser, und rät ihm, zu feilschen. »Du kriegst sie auch für zwei, und trotzdem macht der Buchhändler Tryphon noch immer einen Gewinn.« Für eine »mit Bimsstein geglättete und in Purpur gebundene« Luxusausgabe eines Buches von Martial verlangte Atrectus bereits den Wochenlohn eines Arbeiters.
Der Buchhändler Quintus Valerianus Pollius hatte schon Martials Jugendgedichte mit gewissem Erfolg verkauft und diese offensichtlich noch viele Jahre später lieferbar gehalten. Jedenfalls bedankt sich Martial dafür in koketter Bescheidenheit mit den Worten: »Ihm ist es zu verdanken, daß meine poetischen Nichtigkeiten nicht untergehen.« Damit streift Martial das Thema der verlegerischen Leistung des Buchhandels; genauer gesagt die Frage, inwieweit römische Buchhändler-Verleger Autoren zu ihren Werken inspiriert oder motiviert haben. Bei Martials Zeitgenossen Marcus Fabius Quintillanus (35-96 n. Chr.) heißt es in einem Brief an den uns schon bekannten Buchhändler Tryphon, dieser habe ihn zur Herausgabe der Bücher ermuntert, obwohl er selbst in dieser Frage unsicher gewesen war. Ferner lobt er seinen Verleger dafür, dass er das Werk mit großer Sorgfalt ediert und so korrekt wie möglich publiziert habe. Trotz anfänglicher Bedenken habe sich Quintilan von der Einschätzung seines Verlegers leiten lassen, das Publikum würde sein Werk mit großem Interesse erwarten. So scheint der Verleger-Buchhändler Tryphon einen entscheidenden Anteil am Erscheinen dieses bedeutenden Lehrwerkes gehabt zu haben.

?

Wie in Athen trafen sich auch in Roms Buchhandlungen Leser, Gelehrte und Autoren zum literarischen Disput. Wohl in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. haben sich Buchhandlungen zu Orten entwickelt, an denen Autoren aus ihren Werken lasen. Die Dichterlesung trat aus dem privaten Kreis in den öffentlichen (Geschäfts-)Raum. Ihre zunehmende Beliebtheit machte sie zu einem wichtigen Medium, um sich als Autor einen Namen zu machen. Durch geschickte Selbstinszenierung avancierte mancher unbekannte Autor buchstäblich über Nacht zum Tagesgespräch.
Es gab aber auch Schriftsteller, die Autorenlesungen skeptisch gegenüberstanden. So war Horaz der Auffassung, dass sie zur Effekthascherei einlüden und verglich das Urteil der Zuhörer mit dem Wechsel des Windes. Und als sich ein Freund von Juvenal einmal im Sommer aufs Land zurückzog, äußerte der Dichter verständnisvoll: »Wer kann es in der Stadt auch aushalten: ständige Angst vor Bränden, dem Einsturz von Häusern und weiteren Gefahren, vor allem den Dichterlesungen, denen man nicht entkommen kann.«
Im Gegensatz zu Juvenal war Martial nicht grundsätzlich gegen Dichterlesungen. Er prangerte aber die Unsitte an, Freunde zum Essen einzuladen, um den gewissermaßen Wehrlosen dabei aus eigenen Werken vorzulesen. Im dritten Buch seiner Epigramme nimmt Martial einen Kollegen aufs Korn, der seinen Gästen mit dem Vorlesen von Gedichten die Freude am Essen verdirbt:

… uns jedenfalls, Ligurinus, treibt deine Tafel in die Flucht.
Wohl ist sie prächtig und mit superben Speisen versehen,
doch wenn du dabei vorliest, mundet uns überhaupt nichts.
Ich will gar nicht, daß du mir Steinbutte vorsetzt oder eine zwei Pfund schwere Meerbarbe,
ich will auch keine Pilze oder Austern, nur: Sei still!

An einer anderen Stelle spricht Martial selbst eine Einladung zum Essen aus und versichert dabei, dass er nicht aus einem »dicken Wälzer vorlesen« werde. Dem Dichter Julius Cerialis verspricht Martial sogar, dass er bei einem Essen nicht selbst vortragen werde, der Freund hingegen sei dazu ausdrücklich ermuntert.
Zimperlich waren die römischen Autoren nicht miteinander. Auf der Suche nach wohlhabenden Gönnern kamen sie sich oft ins Gehege. An dem bereits erwähnten Ligurinus hat Martial vielleicht dessen penetrantes Buhlen um Anerkennung und Förderer gestört:

Daß dir niemand gern begegnet,
daß, wohin du kommst, Flucht einsetzt und gewaltige
Öde rings um dich herrscht, Ligurinus,
dafür willst du den Grund wissen? Du bist allzusehr Dichter.
Das ist ein höchst gefährliches Laster.

Auch ein gewisser Theodorus muss sich Martials beißenden Spott gefallen lassen:

Warum ich dir meine Bücher nicht schenke,
obwohl du so oft darum bittest und es nachgerade verlangst,
darüber wunderst du dich, Theodorus? Der Grund ist gewichtig:
Damit du mir nicht deine Bücher schenkst.

Vor allem aber prangert Martial wie kein anderer zeitgenössischer Dichter das Unwesen des Plagiats an, von dem er selbst in hohem Maße betroffen war:

Gerüchteweise kann man hören, Fidentinus, daß du meine Bücher
vor dem Publikum ganz so vorträgst, als wären’s deine eigenen.
Wenn du willst, daß sie als die meinen gelten, dann schicke ich dir die Gedichte umsonst.
Willst du, daß man sie für die deinen hält, dann bezahle dafür, damit sie mir nicht mehr gehören!

Fidentinus war keine wirkliche Person. Vielmehr nutzt Martial diesen Namen, der etwa mit »Herr Ehrlichmann« zu übersetzen ist, um alle Plagiatoren anzuprangern. Merkwürdig ist auf den ersten Blick Martials mehrfach formulierte Aufforderung an die Diebe geistigen Eigentums, für ihr Plagiat zu bezahlen. Damals war es unter wohlhabenden Römern eine gängige Praxis , Schriftstellern Texte abzukaufen, um sie als ihre eigenen auszugeben und sich so mit fremden Federn zu schmücken. Martial steht dieser Unsitte ablehnend gegenüber und scheut sich auch nicht, die geltende Rechtsauffassung zu kritisieren, wonach der Besitz jeglichen Gegenstandes geschützt ist, nicht aber die geistige Schöpfung, die mit dem Verkauf eines Buches mitverkauft wird: »Paulus kauft Gedichte; dann trägt Paulus seine Gedichte vor; / was man kauft, kann man ja zu Recht ›eigen‹ nennen.« In seinen Epigrammen formuliert Martial ein allgemeines Rechtsempfinden, das schon zu Homers Zeiten verbreitet war. Auch wenn es keine juristische Möglichkeit gab, die gewerbliche und unentgeltliche Nutzung des geistigen Eigentums anderer zu unterbinden, war es doch Konsens, dass es moralisch verwerflich sei, das geistige Eigentum anderer als das seine auszugeben.

Der gelehrte Diebstahl von Cervantes bis Dan Brown
Vom Plagiat in der Literatur

Das Plagiat heißt der gelehrte Diebstahl, wenn nemlich ein Schriftsteller die Arbeiten Anderer, ohne diese zu nennen, ausschreibt, und dann für seine eigne ausgiebt. Ein solcher Ausschreiber, oder gelehrter Dieb, heißt Plagiarius.
Conversations-Lexikon oder Kurzgefaßtes Handwörterbuch (1809–1811)

Wenn wir sehen, daß uns einer unsere Ideen stiehlt,
sollten wir, bevor wir schreien,
überprüfen, ob sie uns auch wirklich gehören.
Anatole France (1844–1924)
Ein Meisterplagiator der Antike

Die Neigung zum Diebstahl geistigen Eigentums ist offenbar ein zuverlässiger Bestandteil der DNA des Homo sapiens. Während im Reich der Tiere das vordringlichste evolutionäre Anliegen dem Überleben der Spezies gewidmet ist, prescht das menschliche Individuum gerne rücksichtslos voran, um sich oder seiner Sippschaft persönliche Vorteile zu verschaffen. Es herrschte zwar vom Altertum bis in die Neuzeit weitgehend Konsens darüber, dass Plagiate moralisch verwerflich seien, doch das Fehlen einer juristischen Grundlage für die Ahndung geistigen Diebstahls verführte Menschen immer wieder dazu, sich am geistigen Reichtum anderer zu bereichern.
Ein besonders drastischer und folgenreicher Plagiatsfall hat sich vor fast zwei Jahrtausenden zugetragen. Im 2. Jahrhundert n. Chr. legte Claudius Ptolemäus einen umfangreichen Sternenatlas als Teil seiner heute Almagest genannten Abhandlung zur Mathematik und Astronomie vor. Ptolemäus verwarf die von vielen zeitgenössischen Astronomen vertretene heliozentrische Kosmologie und ersetzte sie durch ein geozentrisches Weltbild. Er ging davon aus, dass die Erde, und somit der Mensch, im Zentrum des Universums stünden und alle Sonnen- und Planetenbewegungen um die Erde perfekt seien, also auf Kreisbahnen liefen. Sein wichtigstes Argument dafür war die Schwerkraft. Er war der Meinung, dass jede Schwere ihrem natürlichen Zentrum, also dem Mittelpunkt der Erde, zustrebe. Mit dem besten Sternenatlas, den die Antike hervorgebracht hat, seinen Erkenntnissen und Schriften avancierte Ptolemäus zum akademischen Megastar – die wissenschaftliche Welt lag dem ägyptischen Denker zu Füßen. Seine Sicht des Kosmos prägte das Denken der Menschen als »Ptolemäisches Weltbild« fast 1400 Jahre lang.
Die Hauptleistung des Ptolemäus lag allerdings in besonders eifriger Kopierarbeit. Die angeblich von ihm selbst vorgenommenen Beobachtungen und daraus entwickelten Theorien stammen maßgeblich von seinem Kollegen Hipparchos von Nicäa, dessen dreihundert Jahre zuvor erschienene Werke inzwischen in Vergessenheit geraten waren. Auch der hochgerühmte Sternenkatalog des Ptolemäus und sogar die Theorie des geozentrischen Weltbildes hatte Hipparchos bereits formuliert. Der Name Ptolemäus steht heute deshalb zu Recht für den nachhaltigsten Plagiatsfall der Geschichte.