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Auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie – Tabak und Kultur von Columbus bis Davidoff
:Transit Buchverlag 1997 | Leinen | 160 Seiten mit 37 Abbildungen | ISBN 3-88747-114-8 | 16,80 €
Taschenbuchausgabe 2000
Türkische Ausgabe 2001

»Wenn man im Himmel nicht rauchen darf, geh ich nicht hin!«, wird heute wieder gern Havanna-Freund Mark Twain zitiert, und von Präsident Kennedy heißt es, er habe sich vor Inkrafttreten des von ihm selbst verhängten Handelsembargos noch mit einer ordentlichen Palette kubanischer Zigarren versorgt.
Auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie ist kein trockenes Sachbuch, sondern eher ein lustvoll erzählter Spaziergang durch die kulturellen und historischen Facetten des Tabakgenusses: Von der Entdeckung des Tabaks und ersten Rauchfreu(n)den in Europa; vom kultivierten Rauchgenuss und seinen literarischen Verfechtern; von der Einführung der Tabaksteuer und medizinischen Erkenntnissen; von rauchenden Frauen und der Emanzipation; von der heimlichen Geliebten der Zigarre, der Revolution, und schließlich vom Geheimnis der Inspiration: auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie.

Presse

Zwei wesentliche Wirkungen habe das Nikotin, heißt es in dieser so gelehrten wie eleganten Kulturgeschichte. Mit Schwung erzählt, führt das Buch vor, wie eine gute, essayistische Studie aussehen kann. Historisch bewußt, belesen, angenehm neugierig, spannt der Autor seine Bögen und läßt seine Rauchringe von Kapitel zu Kapitel schweben.
Der Tagesspiegel

Wer heute Zigarren, Zigaretten oder Tabak kauft, ersteht die Mahnung des Bundesgesundheitsministers mit. Strenggenommen müßte der Minister auch vor diesem schönen Büchlein warnen. Denn es singt das Lob des Tabakgenusses in höchsten Tönen.
Die Zeit

Was haben Sherlock Holmes, Max Frisch und Einstein gemeinsam, was eint Marlene Dietrich mit Siegmund Freud? Die Lust am Tabak. Ohne Rauchen kein Denken. Erst durch brennende Stäbchen wird der Müßiggang zum Genuß. Der Berliner Autor Detlef Bluhm unternimmt einen reizvollen Spaziergang durch die Geschichte des Tabaks und zeigt seine erstaunliche Wirkung auf Künstler, Frauen und Politiker. Der Autor feiert Caruso als Botschafter der Orientzigarette und Che Guevara als geistigen Vater der Cohiba, auch an Nikotinflüchtlinge und Nichtraucher hat er gedacht.
Sächsische Zeitung

Leseprobe

»Sie liegen auf einem Diwan, geben sich dem Müßiggang hin, Sie hängen ohne Anstrengung Ihren Gedanken nach, Sie berauschen sich, ohne zu trinken, ohne Ekel, ohne die sirupartigen Nachwirkungen des Weines der Champagne, ohne die nervöse Müdigkeit des Kaffees. Ihr Gehirn erlangt neuartige Fähigkeiten, Sie spüren Ihre schwere Schädeldecke nicht länger, Sie schweben auf leichten Flügeln ins Land der Phantasie, Sie erhaschen Ihre herumflatternden Delirien mit einem Schleier wie ein Kind, das auf einer göttlichen Wiese Libellen jagt, und Sie sehen sie in ihrer Idealgestalt, was Sie der Selbstverwirklichung näherbringt. Die schönsten Hoffnungen ziehen vorbei, nicht mehr nur als Illusion, sie haben Gestalt angenommen und fahren in die Höhe wie bei Taglioni, mit welcher Anmut! Raucher, Ihr kennt das! Dieses Spektakel verschönt die Natur, alle Schwierigkeiten des Lebens werden nichtig, das Leben ist leicht, der Verstand klar, die graue Atmosphäre des Denkens wird blau; aber welch seltsame Wirkung; der Vorhang vor dieser Oper fällt, sobald die Wasserpfeife, die Zigarre oder die Pfeife erlischt.«

Rauchen und Müßiggang (ein altmodischer Begriff, heute sagt man »Zeit haben«, als könne man Zeit besitzen), gehören zusammen für den Raucher, der seiner Leidenschaft Zeit gönnt und nicht lediglich Tabak verbrennt. Von solcher Façon war Honoré Balzac, der die Eingangsfrage gestellt hat, eine rhetorische Frage, die er mit der hier wiedergegebenen Passage aus seiner “Abhandlung über die modernen Reizmittel” 1839 selbst beantwortete und damit einen poetischen Text über das Rauchen hinterließ. Balzac war eng befreundet mit der Gräfin Dudevant, besser bekannt als George Sand. Nach einem Besuch bei ihr schrieb er 1838 an seine Geliebte Eve Hanska:
Ich kam auf Schloß Nohant am Karsamstag gegen siebeneinhalb Uhr abends an und traf den Kameraden George Sand im Schlafrock in einem immens großen, einsamen Zimmer am Kaminfeuer sitzend, wie sie nach Tisch ihre Zigarre rauchte.
Ein Bild der Ruhe, der Gelassenheit. Wie bei Fontane:
Gartenstühle standen umher, vor einer Bank aber, die sich an die Hauswand lehnte, waren doppelte Strohmatten gelegt. Auf eben dieser bank, ein Bild des Behagens, saß der alte Stechlin in Joppe und breitkrempigem Filzhut und sah, während er aus seinem Meerschaum allerlei Ringe blies, auf ein Rundell, in dessen Mitte, von Blumen eingefaßt, eine kleine Fontäne plätscherte.

Rauchen und »in Eile sein« vertragen sich nicht. Der genußvolle Raucher ist ein Selbstvergessener, der mit seiner Leidenschaft kein berechenbares Ziel verfolgt, sondern dem nüchternen Zweck der Welt rauchend entkommen will. So sieht es auch Italo Svevo (»Ãœber das Rauchen«):
Der Raucher ist in erster Linie ein Träumer, es ist die unmittelbarste Wirkung seines Lasters, die ihn dazu macht; ein schrecklicher Träumer, der seinen Verstand in einem Dutzend Träumen vergeudet und wenn er wieder zu sich kommt, nur ein einziges Wort notiert hat.
Die Träume mögen ja kühn und genial sein, aber sie hinterlassen geringe Spur im Vergleich zu ihrem Ausmaß; es mag eine ganze Welt erträumt worden sein, und zurück bleibt eine Wolke, eine Tragödie und ein Epos erträumt, und aufgeschrieben ein Vers. Der Träumer ist sich selbst gegenüber nie konsequent, denn der Traum treibt ihn weit fort.
Um in der Wolke des Rauches dahinschweben zu können, wurden in den vergangenen fünf Jahrhunderten in Europa verschiedene Rauchformen gepflegt oder entwickelt. Im Laufe dieser Zeit hat sich die Dauer eines Rauchvorganges drastisch verkürzt: von den aus Amerika mitgebrachten indianischen Rauchrollen, die dort »langsam den ganzen Tag brennen«, bis hin zur heutigen »Zigarettenlänge«. Unabhängig vom zeitlichen Ausmaß des Rauchgenusses ist eine Erfahrung für den Raucher durch die Jahrhunderte gleich geblieben:
Er schafft sich einen Freiraum im gewöhnlichen Ablauf des Erlebens, einen gesonderten »Zeit-Raum« für eine gesteigerte Wahrnehmung. Durch das Ritual mit den Elementen Feuer, Rauch und Asche werden Hände, Lungen, Atem und Mund eins, eine Verbindung mit dem Transzendenten scheint hergestellt; man verspürt einen Hauch von Unendlichkeit, der eine andere Sichtweise erahnen läßt und es einem – wenn auch nur für kurze Zeit – erlaubt, außerhalb seiner selbst zu stehen.
Soweit der zum »Nichtrauchen« konvertierte (und deshalb vielleicht etwas wehmütig-poetisch formulierende) amerikanische Literaturhistoriker Richard Klein in seinem Buch »Schöner blauer Dunst«. Der Dichter Italo Svevo erklärt dazu wesentlich nüchterner: Der echte Raucher tut, wenn er raucht, nichts anderes. Das muß von den Mitmenschen nicht immer positiv bewertet werden, wie Uwe Timm in seinem Roman »Johannisnacht« erzählt:
In der Familie, zumindest bei meinem Vater, galt der Onkel als faul, ein Drückeberger und Versager, der sein Leben rauchend auf dem Kanapee verbrachte. Das ist denn auch in meiner Erinnerung das deutlichste Bild: Onkel Heinz liegt in der Küche auf dem Sofa, den Kopf, durch ein Kissen abgepolstert, auf der Armlehne. Er raucht. Er konnte wunderbare Kringel rauchen.
Die Welt der fast mystischen Versunkenheit oder Abwesenheit des Rauchers ist zwar eine elementare, aber auch nur eine Dimension des Raucherlebnisses. Eine andere, scheinbar gegensätzliche, stellt das Gespräch dar. In der Geschichte der Rauchkultur nimmt dieser Aspekt einen enorm wichtigen Platz ein.
Der schottische Schriftsteller Thomas Carlyle erhebt das Rauchen in seiner sechsbändigen »Geschichte Friedrichs II. von Preußen, genannt Friedrich der Große« (1858-1865) zur Voraussetzung einer wahren Gesprächskultur:
Der Tabakrauch ist das einzige Element, in welchem unter den Bedingungen unserer europäischen Sitten Männer ohne Verlegenheit stille beisammen sitzen können, und wo keiner sich gehalten sieht, ein einziges Wort mehr zu sagen, als er tatsächlich und wirklich zu sagen weiß. Nein, im Gegenteil sieht sich jedermann durch die Regeln der Ehre und das Bedürfnis seines privaten Wohlbefindens dazu ermahnt, zu verstummen und in jedem Fall fein stille zu sein und wieder an seiner Pfeife zu ziehen, sobald er seine Meinung gesagt hat.
Er empfiehlt diese, erst durch den Genuß von Tabak erreichbare Gesprächskultur auch der Politik:
Das Ergebnis dieser heilsamen Praxis könnte, führte man es in die Parlamentsversammlungen ein, schließlich von unermeßlichem Werte sein.

Der Rauchsalon im England des 19. Jahrhunderts ist der klassische Ort für die behutsame Verbindung von einsamem Rauchgenuß mit einem von Nachdenklichkeit geprägten Gespräch. Der englische Schriftsteller William Thackeray (1811-1863) beschreibt diese Verknüpfung so:
Man kann im Sprechen innehalten, und doch sind die Pausen des Verstummens nie unangenehm, sind sie doch durch das Ausstoßen der Rauchwölkchen gefüllt – so hat das Wiederanknüpfen des Gespräches nichts Peinliches, es entsteht kein Eindruck von Effekthascherei.
Es gibt im aber auch Gesprächssituationen, die eher den Charakter einer Befragung oder eines Verhöres haben. Der Pfeifenraucher Albert Einstein hat in diesem Zusammenhang einen strategischen Ratschlag gegeben:
Bevor man eine Frage beantwortet, sollte man immer erst seine Pfeife anzünden.
Der Verleger Wieland Herzfelde illustriert diese Aussage Einsteins mit einer Geschichte über Bertolt Brecht:
Alle Welt spricht immer über die Schädlichkeit des Rauchens. Ich finde, man sollte auch mal was über die Schädlichkeit des Nichtrauchens sagen. Zum Beispiel Brecht: Ihr wißt ja alle, daß er immer so eine dicke Zigarre im Munde hatte. Jeder kannte ihn so. In Amerika, als man ihn vor das »Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit« zitierte, saß er auch mit so einer dicken Zigarre vor der Prüfungskommission. Und immer wenn man ihm eine Frage stellte, machte Brecht einen tiefen Zug, besah seine Zigarre und stieß dann langsam und mit Genuß den Rauch aus. In dieser Zeit fielen ihm die besten Antworten ein. Es wäre schädlich gewesen, wenn er nicht geraucht hätte, für ihn jedenfalls. Also, nichts gegen das Rauchen.